Digitalisierung bei Banken war Gestern

Digitalisierung bei Banken war Gestern

by November 16, 2018

Digitalisierung hier, Digitalisierung da – kaum eine Geschäftsleitung einer Bank, die sich nicht um dieses Thema kümmert. Kaum eine Bank, die nicht Unsummen in Digitalisierung investiert. Doch eigentlich sollte man dieses Wort zum Unwort des Jahrzehnts wählen.

Denn das, was als Digitalisierung verkauft wird, hat selten etwas damit zu tun.

Digitalisierung war (schon) gestern

Die eigentliche Digitalisierung bei den Banken startete bereits in den 70er-Jahren. Mit dem Aufkommen von bezahlbaren Computersystem wurde die Datenverarbeitung einfacher, schneller und somit günstiger. Und bereits in den 80er-Jahren bot die Postbank, Banking über VTX (Bildschirmtext) an.

Einzelheiten Exemplarisch: Vornehmen einer Überweisung im Onlinebanking-Portal einer Bank

Einzelheiten Exemplarisch: Vornehmen einer Überweisung im Onlinebanking-Portal einer Bank

Seit dieser Zeit findet ein kontinuierlicher Wandel von Geschäftsprozessen und -modellen in die digitale Welt statt. Ein plakatives Beispiel dafür ist die Einführung von Bankomaten. Der erste Bankomat wurde in der Schweiz 1967 in Betrieb genommen (damals noch mit Lochkarten).  Die Verbreitung startete dann richtig ab 1978. Heute ist Bargeld an jeder Ecke, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr verfügbar. Der Durchschnittsmensch geht nicht mehr in eine Bankfiliale um Geld abzuheben.

Seither wurden durch Einführung der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) viele Geschäftsmodelle komplett verändert. Ganze Geschäftsbereiche wurden auf den Kopf gestellt, Arbeitsstellen überflüssig gemacht und teilweise wichtige Ertragsquellen der Banken hinfällig. Dieser Wandel war oft disruptiver als alles, was heute als disruptiv bezeichnet wird (und somit habe ich mein zweites Lieblings-Unwort benützt). Ich erinnere an dieser Stelle gerne daran, dass vor nicht allzu langer Zeit Wertschriften noch von Menschen an der Börse gehandelt wurden.

All diese Änderungen haben eines gemeinsam: Sie wurden durch die Einführung digitaler System und Prozesse einfacher, schneller und günstiger. Einfacher, schneller und günstiger im Vergleich zur manuellen Bearbeitung oder der analogen Bearbeitung. Und genau hier liebt der Hase im Pfeffer: Von Digitalisierung kann man nur sprechen, wenn analoge Prozesse durch digitale abgelöst werden. Die Ablösung eines schlechten digitalen Prozesses durch einen besseren digitalen Prozess hat nichts mit Digitalisierung zu tun sondern lediglich mit Prozessverbesserung.

Neue Kommunikationskanäle

Kann man also von Digitalisierung sprechen, wenn eine Bank neu eine Kundeneröffnung im Internet anbietet? Ja und Nein. Die meisten Banken boten schon lange die Möglichkeit, Kontoeröffnungsunterlagen im Internet zu bestellen. Und Banken speichern die Kundendaten schon seit Jahrzehnten in Computersystemen. Neu ist aber der komplette Prozess auf digitalen Kanälen möglich. Digitalisiert wird also – bestenfalls – die Kundenschnittstelle, die Kundenbeziehung. Mit etwas Glück hat die Bank den neuen, digitalen Prozess so gestaltet, dass der Kunde wirklich kein Papier mehr unterzeichnen muss.

Eigentlich werden Kunden aber nur über einen weiteren, neuen Kanal bedient – und dieser Kanal ist eben digital. Was also oft als Digitalisierung verkauft wird, ist lediglich das Einbinden eines neuen Kommunikationskanals. Und das hauptsächlich deshalb, weil die Kunden viel Zeit im Internet verbringen. Oftmals mehr Zeit, als sie durch die Strassen flanieren, wo sie auf eine Bankfiliale treffen könnten. Die Banken passen sich also nur an die veränderte Realität an. Ist das innovativ? Naja, sagen wir mal „begrenzt“. Es geht hier um die Anpassung an eine veränderte Umwelt – man kann also eher von „Überlebensfähig“ als als von „Innovation“ sprechen.

Aber klar: Ein solcher neuer Kontaktkanal bedingt immer – teilweise fundamentale – Anpassungen bei den Banken. So beispielsweise in den 80er und 90er Jahren, als Telebanking boomte. Das Kanal “Telefon” bekam bei den Banken plötzlich einen neuen Stellenwert. Auch das veränderte die Bankenwelt gewaltig: Neuartige Arbeitsstellen entstanden in Call Centern, andere (z.B. in Filialen) wurden weniger wichtig und neugegründete Telefonbanken machten den etablierten Banken das Geschäft streitig. Letztere sahen sich gezwungen, bei der Entwicklung nachzuziehen und ihr Geschäftsmodell anzupassen.

Digitalisierung: Nur für Berater wichtig

Wenn also Digitalisierung nichts neues ist, warum wird denn heute soviel davon gesprochen? Warum decken Wirtschaftsführer, Politiker und Wissenschafter (ja, auch Blogger) die Welt mit Artikeln, Referaten und Studien zu diesem Thema ein?

Bei nüchterner Betrachtung der latenten Digitalisierung in den letzen Dekaden liegt die Vermutung nahe, dass hier (künstlich) ein Hype generiert wurde. Wenn es aber „nur“ ein Hype ist, warum reiten denn die oben erwähnten – vermeintlich intelligenten und reflektierten Menschen – auf dieser Welle mit? Vielleicht einfach, weil sie damit Geld verdienen. Viel Geld.

Gerade für die Beratungsbranche ist die Digitalisierung so etwas wie damals der Goldrausch in Alaska. Kaum eine der grossen und kleinen Beratungsfirmen die nicht mit diesem Buzzword unterwegs ist. Und wenn man sich dann etwas von der Masse abheben will, spricht man von „Digitaler Transformation“ anstelle von „Digitalisierung“.

Man wird den Verdacht nicht los, dass der Hype um diesen Begriff von den Beratungsfirmen mit viel Tamtam aufrechterhalten wird. Und von Bankennchefs, die noch eine Papieragenda benutzen.

Welcher Begriff wäre denn besser?

Wenn der Begriff Digitalisierung falsch ist: Was wäre denn der richtige Begriff? Auch Kollege Alain Veuve hat sich dazu Gedanken gemacht und kam auf “Perpatual Disruption”. Das tönt aber auch schon wieder nach einem Begriff, den die Beratungsindustrie gerne aufnehmen wird.

Der korrekte Begriff für die aktuellen Entwicklungen müsste aussagen, dass

  • die Kundenkommunikation über das Internet erfolgt,
  • Menschen aus dem Verarbeitungsprozess entfernt werden und
  • Dienstleistungen rund um die Uhr und unabhängig vom Standort des Kunden verfügbar sind.

Kurz und bündig also um die “Automatisierung von Dienstleistungen im Internet”. Tönt nicht so sexy wie “Digitalisierung” – ist aber wesentlich treffender.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf claudiogisler.ch ,

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