Erfolgreicher Finanzplatz: Die Menge an Innovationen gibt nicht den Ausschlag

Erfolgreicher Finanzplatz: Die Menge an Innovationen gibt nicht den Ausschlag

by April 3, 2020

Ungeachtet der grossen Erwartungen, die sich an neue Technologien wie Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Big Data koppeln, können wir nach wie vor nicht die Zukunft vorhersagen. Das hat sich in diesen Wochen mit Covid-19, der exponentiellen Entwicklung der Fallzahlen sowie den ökonomischen Risiken der Pandemie gezeigt.

Speziell sind wohl die meisten Banken derzeit im Blindflug, da sie die Wirkungsmechanismen im relevanten Umfeld und deren Einflüsse auf ihr Risikoportfolio nicht kennen und somit nicht rechnen können. Aber auch wenn wir die Zukunft nicht vorhersagen zu vermögen, so liegt es doch in unserer Macht, sie zu erschaffen. Eine besondere Anschlussfrage, die nun die Führungsriegen in Schweizer Banken mit neuer Vehemenz umtreibt, ist, wie sie den Weg in eine nachhaltig erfolgreiche Zukunft finden sowie bestreiten können und das trotz der Widrigkeiten und Turbulenzen aus dem externen Schock, aber auch durch heute in den Hintergrund tretende Faktoren wie das Niedrigzinsumfeld, regulatorische Änderungen oder Digitalisierung.

Was bei der Beantwortung dieser Frage helfen kann, sind Lehren, die ich in diesem Beitrag aus einem bahnbrechenden, sehr erkenntnisreichen, jedoch nicht ausreichend rezipierten Managementbuch ziehen möchte. Aus diesem Grund besprechen wir in der Folge kurz das Werk «Great by Choice: Uncertainty, Chaos, and Luck – Why Some Thrive Despite Them All (Good to Great)», das 2011 durch Jim Collins und Morten T. Hansen vorgelegt wurde, und wenden uns einigen Einsichten daraus zu, die in der Bankenlandschaft relevant und vielleicht gerade jetzt wertvoller denn je sind.

Kurzrezension eines wertvollen Managementbeitrags

Die beiden Managementvordenker Collins und Hansen beschäftigen sich in ihrem Buch „Oben bleiben. Immer.“ (so die deutsche Übersetzung) mit der Beobachtung, dass es einige wenige Unternehmen (sie nennen sie 10X-Unternehmen) schaffen, auf Dauer extrem besser als ihre Konkurrenz zu sein. Auf Basis einer wissenschaftlichen Erhebung wird versucht, ein Muster abzuleiten, das langfristig erfolgreiche Unternehmen und deren Führungskräfte in besonderem Masse kennzeichnet. Hier liegt auch ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal gegenüber den vielen anderen Managementwerken / -ratgebern begründet: Statt sich auf eine obskure Intuition, Erfahrung, Interessenslage von Autoren zu stützen, die manchmal auch bloss selbsternannte Experten sind, um Erfolgsaussichten oder dergleiches aufzuzeigen, liegt hier eine empirische Erhebung und Auswertung vor, welche die Daten und folglich das sprechen lässt, was tatsächlich in der Welt geschieht.

Als Gerüst zieht sich die Idee der Level-5-Ambitionen (der Einklang aus fanatischer Disziplin, empirischer Kreativität und produktiver Paranoia) durch das Buch.

Abbildung 1: Schematische Darstellung der 10X-Führungskompetenz: 10X-Führungskompetenz, d.h. die zu 10X-Erfolgen führt, setzt drei grundlegende Verhaltensmerkmale voraus: fanatische Disziplin, welche 10X-Unternehmen auf Kurs hält und auch einschliesst (in diesen Tagen unbedingt explizit zu nennen), dass man Sicherheiten, Puffer oder schlicht für schlechte Tage plant anstatt naivem Effizienzstreben und Optimierungsversuchen anheim zu fallen. Ferner empirische Kreativität, welche 10X-Unternehmen dynamisch hält, und produktive Paranoia, welche sie handlungsfähig bleiben lässt. Die Verinnerlichung dieser drei Merkmale macht wiederum eine wesentliche Triebfeder für Level-5-Ambitionen aus, die schlussendlich für einfallsreiche Motivation sorgen.

Unabhängig davon, ob die Studie in diesem Buch wirklich als wissenschaftlich fundiert und nach gültigen Standards als zeitgemäss anzusehen (die der Studie zugrunde liegende Datenbasis endet 2002) oder am Ende doch alles nur Glück ist, bleibt man als Entscheider, Manager oder Führungskraft in den vielen Praxisbeispielen regelrecht hängen und erhält ein erstklassiges Grundgerüst, um seine eigenen Führungsqualitäten zu hinterfragen und gezielt zu verbessern – ein echter Augenöffner!. Was machen die Lenker erfolgreicher Unternehmen anders? Wie bereiten sie sich vor, um Turbulenzen wie die momentanen und viele mehr zu überstehen und sogar für ihren Aufstieg zu nutzen? Collins und Hansen verraten es uns. Damit Schweizer Banken auch für schwierige Zeiten gewappnet sind oder im besten Fall ein Spitzen-/10X-Unternehmen werden oder sind, aber vor allem bleiben!

Schlüsse für Entscheider und Führungskräfte in Schweizer Banken

Die Tragweite und Bedeutung der Ergebnisse aus Collins’ und Hansens Studie wird frappierend offenbar, sobald man sie den üblichen, weitverbreiteten Mythen gegenübersetzt, die durch ihre Forschungen schlichtweg widerlegt wurden.

1. Verankerter Mythos: Erfolgreiche Führungskräfte in Corona-Krisensituationen oder (bloss) turbulenten Zeiten der Digitalisierung sind mutige, zu Taten schreitende, risikofreudige Visionäre.

Anderslautendes Ergebnis: Die besten Firmenchefs und Projektleiter verfügen nicht über visionäre Fähigkeiten, dank derer sie die Zukunft des Swiss Bankings oder, konkret, beispielsweise Auswirkungen von Covid-19 auf ihre Kapitalpositionen hätten vorhersehen können. Sie beobachten sowohl im Tagesgeschäft als auch bei der Konkurrenz einschliesslich des Geschehens in anderen «Branchen» – heute und in der Zukunft geht es mehr um Cluster und Ecosysteme als um unabhängige Sektoren und Industriezweige –, was funktioniert, finden heraus, warum es funktioniert, und bauen ergo auf erwiesene Grundlagen.

Sie sind nicht risikoaffiner, nicht mutiger, keine grösseren Visionäre und auch nicht kreativer als ihre Pendants in anderen Banken. Vielmehr umgekehrt sind sie jedoch risikobewusster, d.h. besonnener sowie Resilienz-bedachter, weiterhin disziplinierter und gehen empirischer vor.

2. Verankerter Mythos: In einer schnelllebigen, ungewissen und chaotischen Welt (auch eine sogenannte VUCA-Welt) zeichnen sich die erfolgreichsten Finanzmarkt-Player durch Innovationen aus.

Anderslautendes Ergebnis: Zu unserer grossen Überraschung, nein. Ja, Marktführerschaft geht mit einer Menge an Innovationen einher. Aber es finden sich keine Beweise für die Annahme, dass die erfolgreichsten grundsätzlich innovativer als die weniger erfolgreichen Vergleichsfälle seien. Manchmal sind erstere sogar weniger innovativ. Innovationen an sich erweisen sich entgegen der starken Vermutung, sich an der Innovationsfront einfinden zu müssen, um zu reüssieren, nicht als Trumpfkarte!

Entscheidender ist die Fähigkeit, oberhalb einer Umfeld-spezifischen Innovationsschwelle zu bleiben, die wohlbemerkt im klassischen oder Private Banking nicht sonderlich hoch, aber mittlerweile ansteigend ist, weil Fintech mehr und mehr Raum einnimmt. Nichtsdestotrotz, d.h. unabhängig davon, ob die Zahl an Innovationen jetzt relativ niedrig oder doch relativ hoch zu anderen Bereichen ist (siehe Abb. 2), kommt es darauf an, sie serienreif zu machen sowie Kreativität mit Disziplin zu vereinen.

Abbildung 2: Innovationsschwelle nach Branchen, die bald in Clustern und Ecosystemen aufgehen werden.

3. Verankerter Mythos: In einer Welt voller Bedrohungen, mit einschneidenden wie einer Pandemie gefolgt von einer Rezession oder mehr schleichenden etwa durch Fintech-Firmen, die den Banken das risikoarme Frontoffice-Geschäft wegschnappen, sind die Schnellen im Vorteil. Entweder man ist schnell oder Geschichte.

Anderslautendes Ergebnis: Die Auffassung, Führungsstärke in einer «schnelllebigen Welt» erfordere grundsätzlich «schnelle Entscheidungen» sowie «schnelles Handeln» – und der generell vorherrschende Firmenethos «Schnell! Schnell! Schnell!» sei begrüssenswert –, ist eine sichere Methode, um unterzugehen. Die erfolgreichsten Führungskräfte rechnen sich hingegen aus, wann sie schnell handeln müssen und wann nicht.

4. Verankerter Mythos: Radikale Veränderungen von aussen, wie etwa ausgelöst durch den Corona-Schock (Gesundheitsbereich) oder den Megatrend der Digitalisierung (Technologiebereich), machen radikale Veränderungen von innen notwendig.

Anderslautendes Ergebnis: Die erfolgreichsten nehmen als Reaktion auf die sich um sie herum wandelnde Welt weniger Veränderungen vor als die Vergleichsfälle (mit weniger Erfolg). Die Tatsache allein, dass die Welt um einen herum von einem dramatischen Wandel erschüttert wird, bedeutet nicht, dass man sich selbst einem radikalen Wandel unterziehen sollte.

Fazit

Zugegeben mag weder das Buch und noch viel weniger dieser Beitrag dahingehend zufriedenstellen, dass Entscheider und Lenker in Banken konkrete oder direkt umsetzbare Leitlinien oder Ratschläge an die Hand bekämen. Darin liegt aber vielmehr eine weitere Stärke als eine Schwäche. Denn alle, die mehr Greifbares respektive weniger Abstraktion versprechen, können den individuellen Bedürfnissen, Gegebenheiten, Problemen, Änderungen im jeweiligen Weltenlauf, etc. per se nicht gerecht werden. Dafür braucht es kein Buch, sondern schon Beratungsdienstleistungen (und selbst dort läuft vieles schief).

Was leisten die zutage geförderten Erkenntnisse dann? Sie beruhen auf Daten, sind evidenzbasiert und stellen somit begründet die Weichen auf Erfolg, indem sie mit hinfälligen Denkmustern und vorherrschenden Irrglauben aufräumen, die sich wie derzeit zu bezeugen ebenso viral ausbreiten können wie infektiöse organische Strukturen selbst.

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