Ja, ich gebe es gerne zu: Ich habe in der Vergangenheit mehrfach Partei für TWINT ergriffen. Ich konnte sieben Gründe aufzeigen, warum Twint gegen Apple Pay erfolgreich sein wird. Im September 2018 habe ich erklärt, warum Twint eine Erfolgsgeschichte ist. Ja, sogar zu Repliken auf kritische Berichte habe ich mich hinreissen lassen.
Und jetzt lese ich, dass der wohl grösste Onlinehändler der Schweiz, Digitec/Galaxus, TWINT künftig nicht mehr akzeptieren wird. Und wie kam es soweit? Findet Digitec plötzlich, dass TWINT eine schlechte Lösung ist? Nutzen die Kunden diese Zahlmöglichkeit nicht?
Nein, es geht bloss um schnöden Mammon. TWINT hatte den Nerv, bei ihrem grössten Kunden eine Preiserhöhung durchsetzen zu wollen. Das kam bei diesem denkbar schlecht an.
Schon wieder David gegen Goliath?
Wenn man das so liest, denkt man unweigerlich: «Jetzt straft dieser Milliardenkonzern das kleine Fintech ab und demonstriert seine Macht». Das ist aber bei weitem nicht so. Denn hinter dem „Fintech“ TWINT stehen grosse Namen: PostFinance, UBS, ZKB, SIX und Worldline. Jeder dieser Eigentümer ist selbst ein Milliardenkonzern. Hier geht es also um einen Machtkampf auf ganz hohem Niveau.
Mitleid ist also nicht angebracht – weder auf der einen, noch auf der anderen Seite.
TWINT vs. Apple Pay – aktueller Stand
Da ich bei diesem Machtkampf keine Partei ergreifen möchte, mache ich etwas ganz anderes: Ich reflektiere mein eigenes Nutzungsverhalten und küre meinen persönlichen Mobile-Payment-Sieger.
Seit Oktober 2019 besteht die Möglichkeit, Viseca-Kreditkarten für Apple Pay zu nutzen. Das habe ich selbstverständlich ausprobiert.
Ein Blick in die Zahlungshistorie der beiden Apps (TWINT/Apple Pay) auf meinem Smartphone zeigt klar: Der Sieger heisst Apple Pay.
Mit TWINT habe ich seit Juni 2016 nur vier ernsthafte Transaktionen durchgeführt – und das eigentlich auch nur, weil ich kein Kleingeld fürs Parken oder für den Gemüseeinkauf in unserem Bauernhof-Shop (Erlenhof-Lädeli –sehr zu empfehlen) hatte.
Bei Apple Pay waren es in den letzten drei Monaten immerhin zehn Trankaktionen.
Deutlich am häufigsten habe ich mit WIRpay bezahlt – das ist vielleicht aber auch etwas „Déformation professionelle“.
Convenience gewinnt
Warum ich Apple Pay signifikant mehr benütze (und wohl auch zukünftig benützen werde), ist schnell erklärt: Es ist einfach praktischer! Ich muss keine App öffnen, sondern nur meinen Finger auf den Fingerabdruckleser meines Smartphones halten und der Bezahlvorgang ist abgeschlossen.
Zugegeben: Beim Bezahlen mit Apple Pay muss ich akrobatische Höchstleistungen vollbringen, denn die NFC-Empfänger sind oftmals schlicht blödsinnig an den Kartenlesegeräten angebracht. Die Schuld dafür kann man aber wohl nicht Apple Pay in die Schuhe schieben – hier müssen sich wohl die Hersteller der Zahlstationen an der Nase nehmen.
Dass die Convenience der ausschlaggebende Faktor ist, zeigt sich auch in meiner insgesamt sehr mageren Nutzung der Mobile-Payment-Lösungen. Die einfachste und bequemste Möglichkeit, ist nach wie vor die altbekannte Kartenzahlung. Und NFC funktioniert ja auch mit diesen tadellos.
Schon vor einiger Zeit habe ich geschrieben: Das Portemonnaie ist das Pièce de Résistance für Mobile Payment. Und damit scheine ich recht zu behalten – für einmal.
Hat TWINT noch eine Chance?
Seien wir ehrlich: Chancen gibt es immer. Aber es wird immer, diese Chancen zu packen und erfolgreich umzusetzen.
Wäre ich ein hochbezahlter Berater, welcher von TWINT angeheuert worden wäre, wüsste ich aktuell wirklich nicht, wie man diesen Service noch zum Fliegen bringen könnte. Also langfristig meine ich. Denn aktuell fliegt es ja – einfach nicht so hoch.
Aber das ist vielleicht auch nicht schlecht: Die „Landung“ wird dann nicht ganz so hart.
Dieser Artikel erschien zuerat auf dem Blog von Claudio Gisler