Fintech Startup Gründer Alain Veuve mit einem kritischen und höchst lesenswerten Blog-Beitrag zum Startup Funding in der Schweiz.
Erst als ich eines Tages mit einem neuen BMW „nach Hause“ kam, war das Thema vom Tisch.
Ich gebe zu, ich habe vor 2 Jahren ein wenig geflunkert, als ich schrieb, die nächste Zeit in der Schweiz und die Politik werde für mich persönlich darüber entscheiden, ob ich hier weiter bleibe oder in ein ausländisches „Start-Up-Valley“ auswandere. In Tat und Wahrheit, war die Sache für mich eigentlich klar, ich werde abhauen.
Physische und geistige Mobilität
Irgendwann habe ich damals erkannt, dass das Umfeld ganz entscheidend dazu beiträgt, was man als Start-Up Unternehmer bewegen kann. Deutschland und die Schweiz waren kein so tolles Pflaster. Investoren die nicht sehr risikofreudig sind, massenweise sehr gute potentielle Mitarbeiter, die aber null Anreiz und Motivation haben, ihre sensationell bezahlten und angenehmen Jobs gegen ein Start-Up Abenteuer zu tauschen.
Und eine Kultur, die irritierend skeptisch gegenüber jenen ist, die selber etwas auf die Beine stellen wollen. Mein Vater selig, hat mir selbst 2 Jahre nach der Gründung meiner ersten Firma, die dann schon Mitarbeiter hatte und sich selbst tragen musste (weil es eben keine Investoren gab), beim sonntäglichen Mittagessen jeweils ans Herz gelegt, doch bitte einen tollen Job in der Pharmaindustrie anzunehmen. Erst als ich eines Tages mit einem neuen BMW „nach Hause“ kam, war das Thema vom Tisch.
Und so hatte ich über die Jahre das Gefühl, dass wenn eine geistige Mobilität nicht vorhanden ist, man selbst eine physische Mobilität entwickeln muss. Sich in jene Gebiete zu verschieben, in welchen das Umfeld für unternehmerische Aktivitäten der Zukunft (um das mal so zu nennen) besser aufgestellt sind. Dass dort auch der Wettbewerb ganz ein anderer – nämlich sehr hart – ist, vergisst man in der Regel komplett.
Silicon Valley – nein, danke.
Dass es zu diesem Schritt nicht gekommen ist, hat zum einen ganz banale, praktikable Gründe. Die interkontinentale Verschiebung einer 5-köpfigen Familie ist, wenn sie eben nicht durch einen Großkonzern komplett organisiert wird, ein doch eher aufwändiges Ding. Nichts was einen von einer guten Idee abbringen würde grundsätzlich. Aber auch nichts was man mal eben so macht.
Zum anderen, und das ist schlussendlich das Entscheidende, bildet sich in der Schweiz gerade so etwas wie das Epizentrum einer neuen (Digitalen) Finanzindustrie. Wenn man sich das Wertschöpfungs-Volumen ansieht, welches die globale Finanzindustrie sozusagen für Start-Ups bereithält, um mit neuen Geschäftskonzepten modelliert zu werden, ist das schlicht immens.
Ich habe mir den Fintech-Bereich bewusst ausgesucht, als wir uns entschieden Machine-Learning in RPA zu machen. Dass das Potential riesig ist, war klar. Dass die bestehenden Player zwischen verzweifelt und krampfhaft nach einem Weg in eine digitalisierte Zukunft suchen werden war auch klar. Aber dass die Schweiz dafür zukünftig nahezu ein perfektes Umfeld bieten würde – nein darauf hätte ich vor 2 Jahren nicht gerade gewettet.
Wealthtech-Nation, Risiko Crypto Nation Schweiz
Dass es dazu kam, hat ganz verschiedene Gründe. Einer der Hauptgründe ist sicher, dass die Schweiz eine sehr ungewöhnliche Kombination von totaler politische rund sozialer Sicherheit bei gleichzeitig sehr minimaler Regulierung bot. Zudem haben Kantone und der Bund für Fintech-Start-Ups eine gewisse Willkommenskultur gelebt. Natürlich nicht alle und auch zwischendurch mit, sagen wir mal, „Schluckauf“. Vielleicht war vieles auch ein wenig Glück und Zufall. Sei’s drum.
Heute ist da aber immer offensichtlicher ein Plan dahinter. Wenn Bundesrat Schneider-Ammann verkündet, die Schweiz werde eine „Crypto-Nation“, dann hat das, sozusagen extern wie auch intern enorm Signalwirkung.
Ich hätte zwar fast lieber gehabt, er hätte die Schweiz als Wealthtech-Nation proklamiert – zu unseriös erschienen mir die weltweit meist weitgehend unregulierten ICOs. Das Risiko, sich als Nation und Standort damit den eigenen wirtschaftspolitischen Ruf zu versauen war und ist noch immer nicht unerheblich.
Mit dem 16. Februar jedoch wurde meiner Meinung nach durch die Schweizerische Finanzmarktaufsicht (Finma) nach ein wichtiger Schritt gemacht: Man hat bekannt gegeben wie ICOs/ITOs in Zukunft behandelt werden sollen. In dem Papier, nach meinem Gusto noch etwas vage und schmal, wurden die entsprechenden Grundsätze verankert. Wie das im Detail gehandhabt wird, ist dabei erstmal gar nicht so wichtig.
Ein Signal an die Welt
Viel wichtiger ist die Botschaft dahinter:
Wir begrüßen ICOs/ITOs und wir wollen Regulatorien anwenden, die sicherstellen, dass ein ICO, der in der Schweiz stattfindet eine vertrauenswürdige, belastbare Angelegenheit ist.
Damit wurde ein Schweizerischer, regulierter ICO quasi über Nacht auch für unser Unternehmen eine ernsthaft zu evaluierende Funding-Alternative. Denn risikobehaftete und gewagte Geschäftsmodelle umsetzen ist das eine. Dabei vertrauenswürdig und seriös zu bleiben, ist die Basis auf der man aufbaut.
Das ist gutes Timing. Die Schweizer Behörden haben allgemein einen guten Lauf bei der Förderung und Portierung eines Finanzplatzes der Zukunft. Eben dieser Wealthtech-Nation.
Nix da.
Und so kommt es, das ich erstmal nirgends hingehe. Sehr zum Leidwesen meiner Frau, die gerne mal von hier weg möchte. Im Mindesten einen Tapetenwechsel. Eine unserer Firmen, Accounto, ist seit Anfang 2018 ja bereits in der Region. Vielleicht ziehen wir in absehbarer Zeit tatsächlich auch in die Innerschweiz. Mit Firma, Kind und Kegel.
Denn für eine Firma die sich den Leitsatz „Accelerating paradigm shifts in the financial industry by leveraging new technologies“ auf die Fahne schreibt, gibt es gerade keinen besseren Standort als die Schweiz. Und wohl gerade auch keinen besseren Zeitpunkt. Die Bedingungen für Fintech resp. Wealthtech-Startups waren in der Schweiz noch nie besser. Und wir sind erst am Anfang.
Wenn es die Politik jetzt noch schafft, im wahrsten Sinne des Wortes unternehmenslustige Fintech-Menschen aus aller Welt willkommen zu heißen und einen einfachen Zugang zum Standort zu ermöglichen, dann wird das „Crypto-Valley“ dem Silicon-Valley in ein paar Jahren in nichts nachstehen.
Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog von alainveuve.ch
Alain Veuve ist Gründer des AI Fintech Startups Parashift.